Ein Ausstellungsprojekt im Estrich, Progr, Bern
Nino Baumgartner
Tashi Brauen
Martin Chramosta
Bettina Diel
Ramon Feller
Caroline von Gunten & Neal Byrne Jossen
Esther Kempf
Anne-Sophie Raemy & Julia Znoj
Selina Reber
Oft werden Künstler eingeladen auf einen Raum zu reagieren, der durch seine Präsenz alleine zum dominanten Subjekt der Ausstellung wird, und
die kuratorische Textarbeit setzt danach an, um eine Art zusammenfassende Beschreibung des Umgangs von Kunstschaffenden mit Raum zu erzeugen – was auch Sinn macht, wenn Werke vor Ort entstanden sind und ohne den sie umgebenden physischen Raum nicht denkbar sind. Unser Vorschlag greift diese Arbeitsweise auf, mit einem entscheidenden Unterschied: Wir laden Kunstschaffende ein auf einen Raum zu reagieren, den sie nicht vorher gesehen haben, und von dem auch keine Fotografien oder andere Dokumentation zur Verfügung gestellt werden. Die künstlerischen Reaktionen sollen sich stattdessen auf die subjektive Beschreibung des Raums einlassen, die von den Kuratoren produziert wurde, und somit die kuratorische Inszenierung eines Ausstellungsraums thematisiert.
Unser Text ist die Narration eines ‚erlebten Raums‘ (Bollnow) der neben dem Versuch, die Anordnung und Besonderheiten des Raums wiederzugeben, Aspekte unserer Erfahrung und Beobachtung dieses Ortes hervorhebt und somit in den Lesern Bilder, Vorstellungen, Atmosphären und Ideen evoziert – eine imaginierte Topographie, die irgendwo zwischen unserer Wahrnehmung und derjenigen der Leser (der KünstlerInnen) liegt. Wir laden Künstler-
Innen ein, ohne ein eigenes physisches Erleben des Raums nach einer Vorlage, einer Art Raumpartitur zu arbeiten. Die Beschreibung des Raums funktioniert wie eine Werkbeschreibung – sie kann und will nicht vollständig sein, besteht schlussendlich aus Fragmenten, die vielleicht eine Reaktion, ein Interesse, eine Frage wecken.
RAUMPLAN
Man steigt die Treppe hoch durch das belebte Haus in den vierten Stock, wo die Feuerschutztür normalerweise geschlossen bleibt. Hier hat die Gebäudeverwaltung vor kurzem ein Anti-Fixerlicht angebracht, welches das elegante Treppenhaus unangenehm bläulich verfärbt. Hinter der Tür ein breiter Vorraum mit schwachem Tageslicht, der von einer industriell anmutenden Anlage mit schwarzen Hebeln und einem fetten silbernen Aluminiumrohr geprägt wird. Rechts gelangt man über eine kleine Holztreppe in den ersten von drei aufeinanderfolgenden Räumen im westlichen Dachboden des Hauses. Auf der Holztreppe stehend sieht man seitlich auf einen Zwischenboden, der sich wie eine kleine Bühne über dem Eingangsbereich erhebt, jedoch nur durch klettern zugänglich ist. Durch eine weitere Tür gelangt man in den ersten der drei Räume, der auf den ersten Blick zweigeteilt erscheint.
Rechts ein etwa drei Meter breiter Gang und eine Reihe von Dachluken, durch die je nach Tageszeit das Licht unterschiedlich hereinfällt. Es ist fast immer schummrig hier oben; im Deckengebälk leuchten Neonröhren den Raum ungleichmässig aus. Der Boden besteht aus dichten Reihen von Ziegelsteinplatten, die Wände aus massiven grau-braunen Sandsteinblöcken, die von Furchen und Löchern durchzogen sind. Decke und Dachschrägen hingegen werden von geometrisch geschnittenen Balken aus dunklem Holz bestimmt. Die Querbalken mitten im Raum sind so niedrig, dass man ab einer gewissen Körpergrösse beinahe den Kopf daran stösst und die Bodenplatten so uneben, dass man manchmal über Kanten oder lockere Steine stolpert. Links kontrastiert das Gebälk mit der Steuerung der Lüftungsanlage des Gebäudes, ein technischer Einbau aus silbernem und blauem Metall, in dessen unsichtbarem Innern die Holzbalken verschwinden. Dafür entspringt der Anlage ein System aus runden Kunststoffrohren und eckigen Lüftungskanälen, dicht ummantelt von silbernem Isolationsmaterial, welches an handelsübliche Aluminiumfolie erinnert. Wie Tentakel winden sich Röhren an Decke und Boden entlang.
Die Apparatur dominiert den Raum, verschlingt ihn gleichsam, betont aber auch seine Symmetrien und verschiedenen Sichtlinien. Die funktionale Anlage, deren zahlreiche Schalter und Kabel offen liegen, erscheint im Zusammenspiel mit der umgebenden Architektur des Dachbodens auch als ästhetisches Objekt. Dies überträgt sich auf die Sandsteinblöcke und Bodenplatten: In Kontrast zu den technischen oder normierten Raumelementen fallen die Spuren der Abnutzung, die Kratzer und Schürfungen, die Unregelmässigkeiten von Farbe und Form, das dem rustikalen Stein und Holz eigene Unfertige und Ungepflegte, um so stärker auf. In diesem ersten Raum ist der Gegensatz durch die unausweichliche Präsenz der Anlage besonders sichtbar, während er im zweiten und dritten Raum beiläufiger wird, da sich die neuere Infrastruktur dort auf kleinere Einschübe wie Kabel oder Exit-Zeichen an Holzbalken begrenzt und das Gebälk des Dachbodens ein eigenes, düsteres Gewicht annimmt.
Auf der rechten Seite dieses ersten Raumes noch eine Besonderheit: Unterhalb der Dachluken säumen auf einem Steinfundament hüfthohe, in quadratische Felder unterteilte, finstere Nischen den Raum. In diesen dunklen Hohlräumen lässt sich weit mehr als nur Staub und bauliche Rückstände von Zerfallenem erahnen. Sie erscheinen uns wie Mikro-Räume, deren Leerstellen zum fantasieren einladen. Beiläufig liegt davor ein etwa drei Meter langer mit Haken versehener Holzbalken, der vage an Duchamps Flaschentrockner erinnert – ein deplatziertes, schwer zu bestimmendes Objekt, dem man versucht ist Funktion und Bedeutung zuzuschreiben.
Am Ende des Raumes blickt man auf die Lüftungsanlage zurück und kann sich auch an ihrer Rückwand entlang drängen um durch die linken Fensterluken herauszuschauen. Hier ragt ein relativ tiefes, langes mit MDF beschichtetes Podest in den Raum, das bei früheren Vernissagen als Bar gedient hat. Darauf Dreck, Weinflecken, Spuren von Vergangenem. Wir kennen wenige Geschichten über diesen Ort, der über die Jahre vor allem als Abstellkammer gedient zu haben scheint, aber einige davon haben mit Vernissagen zu tun, mit trinkenden, quatschenden Menschen und Kunstschaffenden, die im Gebälk herumklettern, um Scheinwerfer optimal zu positionieren.
Durch eine weitere schlichte, weisse Feuerschutztür gelangen wir in den zweiten Raum. Eigentlich ist es eher ein Vorraum, eine erhöhte Plattform mit starker Dachschräge, die seitlich und frontal von Mauern und Gebälk eingefasst ist. An gewissen Stellen sieht man durch die Mauerlücken herunter in den dahinterliegenden grösseren Raum. Auch hier die niedrigen Querbalken, der unebene graue Steinboden – die klaustrophobische Enge dieses Raumes und die Tiefe der Balken im Halbdunkel laden ihn mit einer geheimnisvollen Sinnlichkeit auf. Ein paar Treppenstufen führen hinunter zum einzigen Fenster auf Augenhöhe in den drei Räumen. Lehnt man sich zum Fenster heraus, sieht man in einen belebten Innenhof hinunter, was eine Verbindung zur sonst abgeschotteten Aussenwelt schafft. Auch aus den Dachluken eröffnen sich unterschiedliche Aussichten – auf gegenüberliegende Ziegeldächer, auf die Hodlerstrasse und das Dach des Kunstmuseums, auf die Lorrainebrücke und die Aare. Vor dem Fenster ragt eine blaue Röhre aus dem Boden, weswegen ein paar Bodenplatten fehlen – wieder eine Stelle wo der Raum unfertig, beinahe ausgefranst erscheint.
Der letzte Raum erscheint auf den ersten Blick offener und einheitlicher; die unebenen, kleinflächigen Bodenplatten erstrecken sich zwischen massiven Pfosten und Balken. Rechts und am unteren Ende des Raums befinden sich wieder Fensterluken mit Nischen, die jedoch niedriger und weniger zugänglich sind. Das an einigen Stellen bröckelnde, verfärbte seitliche Mauerwerk ist hier aus Ziegelsteinen, die im Licht schimmern wie versteinerte Haut oder Schuppen. Die Konstruktion des voluminösen Walmdaches mit seinen knorrigen Balken erinnert an ein Gerippe, das einerseits beschützend wirkt, andererseits bedrohliche Schatten wirft.
Auch dieser Raum zeigt auf, was für alle Drei bezeichnend ist: sie bestehen aus einer Serie von Unfertigkeiten, Verwerfungen, dürftig reparierten Stellen. Es wurde ausgebessert und aufgeräumt; im Vergleich zu unserer ersten Begegnung mit diesem Ort ist es jetzt ziemlich leer und ziemlich sauber. Trotzdem behält der Raum Ecken und Kanten, seine ganz eigene Patina. Der grosszügige, annähernd quadratische Grundriss wird an zwei Stellen durch Schranken begrenzt, die wie Ansätze einer weiteren Raumunterteilung wirken und das Raumgefühl brechen. In der hinteren linken Ecke ragt ein in den Boden gebauter Holzbalken von der Rückwand aus in den Raum hinein, der ein etwa zwei auf vier Meter grosses Feld parallel zur Wand markiert. Zwischen dieser Fläche und einem abmontierten Kaminschacht, von dem nur noch ein Betonblock und rahmenden Holzstützen zu sehen sind, steht ein ausgedienter Sprungbock – die einzige Erinnerung daran, dass dieses Haus einmal eine Schule war. Auf der gegenüberliegenden Seite, vor der zum beschriebenen Zwischenraum abgrenzenden Mauer, ist ebenfalls ein verstaubter, ungenutzter Kaminschacht, und damit auch wieder eine Luke, wieder ein Innenraum-im-Raum. Hier wurde die Öffnung einmal von einer Metallplatte mit zwei Griffen abgedeckt, die jetzt davor am Boden lehnt. Neben diesem Kamin die zweite erwähnte Schranke: Vor der Mauer aus gemaserten Steinblöcken grenzt zwischen Kamin und Dachluken ein niedriger, länglicher Betonquader eine kleine dreieckige Zone ab, in der sich Dachziegel stapeln. Noch ein Element zieht hier die Blicke auf sich: In der linken Wand befindet sich wieder eine Tür. Diese jedoch ist abgeschlossen – wir wissen, dass das Gebäude hier nicht zu Ende ist, doch der Zugang wird verweigert.
Extreme und Gegensätze prägen die Atmosphäre dieses Estrichs: Zwischen Technologie und rustikaler Architektur, zwischen Innen und Aussen, Nostalgie und Renovation, Geborgenheit und Unwirtlichkeit. Das Klima verschärft diesen Eindruck. Im Hochsommer ist es so drückend heiss, dass man kaum atmen kann, im Winter an gewissen Tagen so eisig kalt, dass der Atem in kleinen Wolken vor dem Mund kondensiert.
Kuratiert von Kate Whitebread und Dominik Müller